"Bei aller Achtung für den wissenschaftlichen Fortschritt, aber der Mensch hat den wichtigsten Teil seines Lebens vernachlässigt – das in ihm wirkende Lebensprinzip, die Seele, die eigentliche Essenz des Lebens oder den Funken des All-Bewusstseins, die unsichtbare Kraft, die hinter der ganzen Schöpfung steht. Die Meister der mystischen Wissenschaft haben sich tiefgreifend damit beschäftigt, diese geheimnisvolle Kraft, die man Leben nennt, zu erschließen, und das Ergebnis ihrer Experimente ist in Form der verschiedenen Heiligen Schriften der Welt aufgezeichnet. Diese geistliche Literatur zeigt – trotz der offensichtlichen Unterschiedlichkeit – eine erstaunliche Einheitlichkeit in ihren Kernaussagen – eine grundlegende Einheit, die beweist, dass alles von der gleichen Quelle stammt – von der unwandelbaren Ausstrahlung des Göttlichen."

Auszug aus einem Vortrag von Sant Kirpal Singh, gehalten in Hindi, im Sawan Ashram, Delhi


Immer wieder segneten Meisterseelen diese Erde, um die Menschheit spirituell zu erleuchten. Zu unserer Führung hinterließen sie wertvolle Aufzeichnungen darüber, was sie im Inneren erfahren hatten. Seit dem ersten Aufdämmern des Lebens auf dieser Erde war der Mensch immer sehr damit beschäftigt, nach Glück zu suchen. Auf allen Gebieten des Lebens hat er enormen Fortschritt gemacht. Nehmt zum Beispiel die medizinische Forschung. Viele großartige, wissenschaftliche Systeme sind entstanden: Die Unani Medizin, die Ayurvedische Heilmethode, Allopathie, Homöopathie, Naturheilkunde und so weiter. Sie alle haben zum Ziel, dass der physische Körper reibungslos funktioniert. Die Chirurgie hat ungeahnte Fortschritte gemacht, selbst das subtilste Organ des menschlichen Körpers kann heute ersetzt und von einem zum anderen transplantiert werden. Genauso hat der Mensch auf intellektuellem Gebiet gewaltige Fortschritte gemacht. Der Mensch hat nicht nur die Naturkräfte bezwungen, sondern sie in seine Dienste gestellt. Mit Hilfe eines Funkgeräts oder eines Fernsehers könnt ihr jemanden aus tausenden Kilometern Entfernung hören und sehen. Jetzt versucht der Mensch, die Geheimnisse des Weltraums zu erforschen und interplanetarische Verbindungen herzustellen. All das sind Wunder des wissenschaftlichen Geistes.
Bei aller Achtung für den wissenschaftlichen Fortschritt, aber der Mensch hat den wichtigsten Teil seines Lebens vernachlässigt – das in ihm wirkende Lebensprinzip, die Seele, die eigentliche Essenz des Lebens oder den Funken des All-Bewusstseins, die unsichtbare Kraft, die hinter der ganzen Schöpfung steht. Die Meister der mystischen Wissenschaft haben sich tiefgreifend damit beschäftigt, diese geheimnisvolle Kraft, die man Leben nennt, zu erschließen, und das Ergebnis ihrer Experimente ist in Form der verschiedenen Heiligen Schriften der Welt aufgezeichnet. Diese geistliche Literatur zeigt – trotz der offensichtlichen Unterschiedlichkeit – eine erstaunliche Einheitlichkeit in ihren Kernaussagen – eine grundlegende Einheit, die beweist, dass alles von der gleichen Quelle stammt – von der unwandelbaren Ausstrahlung des Göttlichen. Es liegt daran, dass praktisch verwirklichte Menschen fehlen, die erfahren sind in Paravidya oder der Wissenschaft vom Jenseits, dass uns nur undurchsichtige Rituale und Zeremonien angeboten werden, die nur ein Symbol für die große Wahrheit sind, die überströmt vor Leben. Die vielen Glaubensrichtungen und Weltanschauungen sind nicht in der Lage, uns eine vollkommene Antwort auf die Frage nach dem Grund unserer Existenz zu geben. Die Priesterschaft kann uns höchstens einen bestimmten Glauben an etwas Gutes, das in ferner Zukunft kommen wird, anbieten. So bleiben die meisten, die nach sogenannter spiritueller Erleuchtung streben, in wasserdicht abgeschotteten Gruppierungen, in einem Schein-Glauben einer bestimmten Religionszugehörigkeit und folgen einem Kodex festgelegter Prinzipien, in der Hoffnung, dass all das schließlich zur Erlösung führt.
Alle bekannten religiösen Gemeinschaften gehen auf einen Meister der Vergangenheit zurück, der zu seiner Zeit die Menschen zu einem höheren Ziel des Lebens führte – der spirituellen Vollkommenheit. Jeder Flut folgt eine Ebbe – so ist es bei allen menschlichen Angelegenheiten. Zu irren ist menschlich, und im Laufe der Zeit verfallen die Menschen wieder in Unwissenheit. Wenn jedoch die Zeit reif ist, schenkt die barmherzige Vorsehung der Welt die Möglichkeit einer Erneuerung. Ein anderer Prophet, ein neuer Messias erscheint, um die verlöschende Glut wieder neu zu entfachen und versucht, all Seine Kinder in seidenen Banden einer weltumspannenden Bruderschaft zu verbinden.
Die Meister als die wahren Verehrer des Lebens glauben nur an das höchste Lebensprinzip, das hinter der gesamten Schöpfung steht – sei es sichtbar oder unsichtbar. Die Meister verlangen nicht von uns, aus unseren Religionen auszutreten, die im Grunde genommen verschiedene Gedankenschulen sind und als Trainingsfeld dienen, um nach dem höheren, wahren Aspekt der Religion zu streben, sondern bewirken die Wiedervereinigung der Seele mit der Überseele. Es ist wirklich so: Wo die Philosophien der Welt enden, beginnt der entscheidende Aspekt der Religion. Wir sollten nicht überrascht sein von dieser Aussage. Die Zugehörigkeit zu einer der vielen religiösen Gemeinschaften ist wie ein Abzeichen, das die Studenten als Kennzeichen tragen, was zeigt, dass sie zu einem bestimmten Institut oder einer bestimmten Universität gehören. Nehmt zum Beispiel Indien mit seinem umfassenden Flusssystem, das ganzjährig Wasser führt. Hier sieht man es als Pflicht an, dass man ein Bad nimmt, bevor man sich in Meditation vertieft. Und dann nehmt Arabien, ein Gebiet, wo akuter Wassermangel herrscht. Dort beten die Menschen, nachdem sie „Wazu“ ausgeführt haben – dabei wäscht man nur Hände, Füße und das Gesicht. Und an Orten, wo es gar kein Wasser gibt, geben sich die Menschen mit „Taummum“ zufrieden – dabei reinigt man die Hände mit Wüstensand. Würde man tief darüber nachdenken, würde man erkennen, dass der Sinn all dieser Reinigungsformen darin besteht, mit einem wachen Geist zu meditieren, ohne eine Spur von Trägheit oder Müdigkeit.
Ähnlich ist es mit den gemeinschaftlichen Gebeten, die an religiösen Stätten ausgeführt werden. In Tempeln, Moscheen und Gurdawaras betrachtet man es als respektvoll, wenn die Anhänger diesen Bereich mit bedecktem Kopf und barfuß betreten, während normalerweise die Christen die Kopfbedeckung abnehmen und die Schuhe anbehalten, wenn sie in ihre Kirche gehen. Das liegt an den klimatischen Unterschieden zwischen Osten und Westen, in jedem Fall hat es zum Ziel, die Anstandsregeln einzuhalten, Ehrfurcht zu zeigen und die Heiligkeit des Gotteshauses zu bewahren. Die Meister sehen daher an sich nichts Falsches an den religiösen Gemeinschaften mit ihrem traditionellen, sozialen Hintergrund. Aber sie bieten uns einen höheren Weg an – einen Weg ins Jenseits – der eine ganz und gar praktische Sache ist. Dieser wird von den sogenannten religiösen und sozialen Strukturen, die nur als vorbereitendes Training entworfen wurden, damit sie bei der Selbsterkenntnis und Gotterkenntnis hilfreich sein mögen, in keiner Weise abgedeckt.
Es gibt zwei Arten von Wissen – einmal das äußere (aparavidya) und zum anderen das esoterische (paravidya). Das erstere besteht im Studium der Schriften, in Pilgerreisen, Fasten, Nachtwachen, Askese und dergleichen mehr, was natürlich alles auf der Ebene der Sinne ausgeführt wird, während das Letztere ein praktischer Weg in die spirituellen Bereiche ist. Des Weiteren legen die Meister immer größten Wert darauf, sich über das Körperbewusstsein zu erheben und die spirituelle Reise in Regionen jenseits der Sinne anzutreten. Man mag sein ganzes Leben lang religiöse Praktiken befolgen und ausführen, die uns religiös werden lassen, aber nicht zur Religion im wahren Sinn bringen, das geschieht nur, wenn das innere Verlangen nach der göttlichen Gnade erwacht, die vor Leben überfließt.
Studiert man den Menschen genauer, zeigt sich, dass er einfach eine Ansammlung von Gewohnheiten ist und ein Leben eines routinemäßigen Scheinglaubens führt. Er hat keine Zeit, ernsthaft über das Problem der Probleme – die Frage nach seiner eigenen Existenz, dem Wesen seiner Seele – nachzudenken. Sein ganzes Leben lang läuft er hinter unbedeutenden Dingen her, die ihm nichts bringen, und versucht, das Glück in materiellen Dingen zu finden. Wie ein Moschusochse, der nicht weiß, dass der Moschusduft aus ihm selbst kommt, läuft er wie verrückt den stets schemenhaften Trugbildern hinterher, bis er völlig erschöpft ist. All seine Vergnügungen sind reine Sinnesfreuden und nicht ein Glück, das von innerer Heiterkeit stammt. Selbst diese sogenannten Freuden entstehen erst, wenn der Strahl unserer eigenen, konzentrierten Aufmerksamkeit auf die sinnlichen Objekte fällt, die an sich nur wie ein trockener Knochen ohne Fleisch sind.
Wir leben in einer Welt des sich ständig verändernden Panoramas. Wir binden uns an alles, was wir sehen, und das verleiht den Dingen einen momentanen Zauber. Wir fühlen den Schmerz des Loslösens und der Enttäuschung in dem Augenblick, in dem sich entweder die Dinge verändern oder wir gezwungen werden, die Freuden aufzugeben, und das werden wir früher oder später müssen. Deshalb legen die Meister großes Gewicht auf etwas, das inmitten des beständigen Wandels einmalig und von bleibendem Interesse ist. Sie sagen uns nicht, dass wir die Welt verlassen und zu einem hilflosen Einsiedler degenerieren sollen, sondern bieten uns einen einfachen und trotzdem praktikablen Weg an, um hier und jetzt wahres und bleibendes Glück zu finden. Wie wir wissen hat das Gemüt wie ein Parasit keine eigenen Wurzeln. Es nährt sich von der Seele und schlingt sogar seine Fangarme fest um unsere Aufmerksamkeit, die der äußere Ausdruck der inneren Seelenströme ist. Nur in ruhigen Momenten vollkommener Entspannung erfährt man eine nicht zu übertreffende Harmonie höherer Art, wenn sich das Gemüt in sich selbst zurückzieht anstatt außen umherzuwandern.
Ich habe also über den spirituellen Aspekt des menschlichen Lebens gesprochen, der der wichtigste und am wenigsten beachtete ist. Wir treffen uns hier von Zeit zu Zeit, um über die Wissenschaft der Seele zu sprechen. Dabei werden normalerweise Texte eines Meisterheiligen genommen, die zu unserer Führung hinterlassen wurden. Sie bilden die Grundlage, damit man die höheren Wahrheiten des Lebens verstehen kann. Heute nehmen wir eine Hymne von Guru Nanak, dem ersten Sikh Guru.
„Die köstlichen Wasser des Lebens, Amrit genannt, kann man von einem lebenden Meister erhalten, und wir sind in die Welt gekommen, um daran teil zu haben.“
Guru Nanak hat für alle eine liebevolle Einladung dazu ausgesprochen. Der Meister erklärt uns, dass wir ein Ziel in unserem Leben haben. Haben wir je darüber nachgedacht, warum uns diese physische Existenz geschenkt wurde? Die menschliche Geburt ist wirklich ein großer Segen. Der Mensch ist das Dach und die Krone der gesamten Schöpfung. Der Mensch ist ein vernunftbegabtes Wesen, und das unterscheidet ihn von der übrigen Schöpfung. Praktisch gesehen ist er mit Unterscheidungsvermögen begabt, um zwischen richtig und falsch zu unterscheiden. Es liegt an ihm, seinen Verstand aufs beste zu nützen und das Bewusstsein der Seele in sich zu entwickeln, das momentan in uns schlummert. Guru Nanak erinnert uns daran, dass wir um Amrit, den göttlichen Nektar oder das Wasser des Lebens zu erhalten, zu einem lebenden Meister gehen sollten, der Zugang hat zur spirituellen Quelle und kompetent ist, uns dahin zu führen. Der lebende Meister genießt den höchsten Status. Er ist das eigentliche Leben und Licht der Menschheit. „Der Sohn kennt den Vater und die, denen es der Sohn offenbart“, sagt Christus. Die Meisterseelen sind Kinder des Lichts und kommen, um das heilige Licht über die auszugießen, die zu ihnen kommen. Die Veden werfen eine relevante Frage auf: Was muss man erlangen, um völlig zufrieden zu sein, so dass man nach nichts sonst mehr verlangt? Sie erklären dann weiter, dass die Krone des Lebens die Gotterkenntnis ist. Erlangt man sie, ist man immer glücklich und voller Harmonie. Die Seele ist ein bewusstes Wesen, ein Tropfen aus dem Meer des Allbewusstseins. Sie ist mit göttlichen Eigenschaften ausgestattet. Kabir sagt uns, sie ist von der selben Essenz wie Gott. Muslimische Heilige betrachten sie als Amar-i-Rabbi oder die Essenz Gottes. Es liegt an der falschen Grundhaltung des Gemüts, dass die Seele von den wilden Leidenschaften übermannt wurde. Wenn die Seele sich vom Körper trennt und vom Netzwerk des Gemüts und der Materie befreit, kann sie wieder ihren Weg zum Elixier des Lebens im Innern nehmen. Es ist das heilige Naam – das heilige Shabd oder der hörbare Lebensstrom, den der Meister denen offenbart, die zu ihm kommen. Das ist das zentrale Thema seiner Lehren.
Mit Hilfe eines Gleichnisses könnt ihr es vielleicht besser verstehen: Verbrecher werden ins Gefängnis geschickt, um die ihnen zugewiesene Strafe zu verbüßen. Ein Würdenträger besucht das Gefängnis und stellt fest, dass die Gefangenen keine angemessene Unterkunft haben. Er spendet eine große Summe, damit gute, klimatisierte Räume für sie gebaut werden können. Ein anderer kommt dorthin und findet heraus, dass das Essen für die Gefangenen nicht gut ist. Er bewilligt weitere Mittel zu diesem Zweck, und sie erhalten gutes Essen. Beide haben etwas Gutes gemacht, jeder auf seine Art. Ein anderer Mann, der Direktor des Gefängnisses, kommt mit den Schlüsseln in seiner Hand. Aus Mitleid öffnet er das Gefängnistor und erlaubt den Gefangenen zu entkommen, wenn sie das wollen. Ihr werdet mir zustimmen, dass der letztere ihnen einen großartigen Dienst erwiesen hat, indem er den Gefangenen die Gelegenheit gab, wieder frei zu sein. Diese Welt ist ein großes Gefängnis, wo jeder von uns seine Zeit absitzt - die ihm zugemessene Lebensspanne. Wir sind überaus eingespannt in die verschiedensten Aktivitäten des Lebens und wissen nichts vom freien Leben jenseits der Gefängnismauern. Der Meister besitzt den Schlüssel zu den verschiedenen Bereichen im Jenseits, und wenn er kommt, öffnet er die Türen des Gefängnisses weit und lädt uns ein, unsere Chance zu ergreifen, draußen freie Luft zu atmen. Wenn wir diese Chance nützen, sind wir wirklich gesegnet. In den folgenden Versen werden wir von verschiedenen Eigenschaften hören, die jemanden dafür qualifizieren, die Befreiung der Seele zu erlangen.
„Lasst alles Gekünstelte, alle äußeren Formen und euren scharfen Verstand beiseite, denn in Dualität und Unklarheit könnt ihr in keiner Weise spirituell gewinnen.“
Der Meister versucht, uns aus unserem tiefen Schlaf zu rütteln. Voller Barmherzigkeit zeigt er uns den Weg zur Freiheit. Er rät uns, unser Leben zu vereinfachen. Es ist ein Segen, in einem Tempel geboren zu werden, aber eine Sünde, darin zu sterben. Wie zuvor erklärt, ist es ratsam, in der Religion zu bleiben, der man angehört. Aber während man in der Religion bleibt, muss man lernen, sich über alle religiösen und sozialen Barrieren zu erheben und sein Selbst so weit auszudehnen, dass es die ganze Menschheit – nein, sogar die gesamte Schöpfung umfasst und man den Grundgedanken von der Vaterschaft Gottes und der Bruderschaft der Menschen verwirklicht. Wenn sich jemand einmal über den Körper und die Begrenzungen des Körpers erhoben hat, fallen die Scheuklappen von seinen Augen, und er sieht sein Selbst in allen und alle in seinem Selbst. All die einengenden Vorurteile in Bezug auf Nationalität, Rasse und Volk sinken tief nach unten, denn jetzt gehört er zu der einen, großen Menschheitsfamilie. Wir nehmen einen bestimmten religiösen Glauben an, um spirituelle Erleuchtung zu erlangen, aber nach einiger Zeit finden wir zu unserem Bedauern, dass wir das eigentliche Ziel unseres Lebens beiseiteschieben und in einem Teufelskreis von Formen und Formalitäten gefangen sind. Man muss sehr achtsam sein und sehen, woher der Wind weht und wohin er bläst. Nochmals möchte ich betonen, dass man das grundlegende Konzept aller Religionen – die spirituelle Erleuchtung – nie aus den Augen verlieren sollte. Wir müssen unser Ziel immer vor Augen haben, wenn wir ein Meisterschütze werden wollen. Ein Liebender Gottes muss daher Gott lieben mit ganzer Seele, aus ganzem Herzen und mit all seiner Kraft. Zu viel Förmlichkeiten und Formalitäten werden zwingenderweise bewirken, dass Zweifel, Misstrauen und Trennungen entstehen. Es besteht ein himmelweiter Unterschied zwischen einem intellektuellen und einem spirituellen Menschen. Die beiden sind Gegenpole. Ein Philosoph beschäftigt sich mit Theorien, während ein Mystiker sich allein mit der Realität beschäftigt. Daher ist es so notwendig, unser Selbst von allem begrenzenden Beiwerk loszulösen, das die Seele unter der toten Last von Riten und Ritualen erstickt.
„O Gemüt, sei ruhig und lauf nicht in die Wildnis.“
In der Stille des Geistes kann man das Göttliche von Angesicht zu Angesicht sehen. Studiert man das Thema genauer, wird sich zeigen, dass das Gemüt im Allgemeinen im Griff der Sinne ist und diese wiederum hilflos nach außen rennen in den Bereich der Sinnesfreuden. In der Hindu-Mythologie wird es so beschrieben: Die Seele fährt im Wagen des Körpers, mit dem Intellekt als Lenker, dem Gemüt als Zügel und den Sinnen als den kraftvollen Pferden, die die Seele ruhelos in den Sinnesfreuden taumeln lassen. Der erste Schritt für einen spirituellen Sucher besteht also darin, seine Sinne zu kontrollieren und sich davor zu schützen, ungewollt den Versuchungen zum Opfer zu fallen. Es heißt, dass wir 83 Prozent der äußeren Eindrücke über die Augen aufnehmen, 14 Prozent über die Ohren und die restlichen drei Prozent durch die anderen Sinnesorgane. Seht, wie sinnlos wir uns kopfüber in das ungestüme Drama des Lebens stürzen! Der Meister zeigt uns nicht nur, wie wir uns selbst aus dieser Geiselhaft befreien können, sondern bietet tatsächlich dem Gemüt einen besseren Ersatz an in Form des inneren Licht- und Tonstroms oder der Musik der Sphären.
Wir haben gerade erfahren, dass die Vorsehung uns mit einem göttlichen Schatz im Inneren beschenkt hat, den man mit Hilfe eines kompetenten Meisters ausgraben kann, so dass er uns zugutekommt. Er dient als Gegengewicht für die beiden Sinne des Gemüts – dem Sehen und dem Hören. Das Gemüt kann also nur mit der Gnade des Meisters kontrolliert werden, der es mit dem Eigentlichen im Inneren – dem Licht und der Stimme Gottes – in Einklang bringt. Wir sollten immer versuchen, entspannt am Augenbrennpunkt zu verweilen, der Ruhestätte der Seele im Wachzustand, und versuchen, die mystische Erfahrung zu erlangen, die der Meister allen gewährt, die zu Ihm kommen.
„Die Suche im Äußeren verursacht viel Kummer und Leid. Der Brunnen lebensspendenden Nektars ist im Inneren, und man muss darin eintauchen.“
All unsere Freuden auf der Sinnesebene bringen uns nichts. „Der Wunsch ist die Wurzel allen Leidens“, verkündete Buddha. Es ist die große Gier nach Vergnügungen auf der Sinnesebene, die zu unsagbarem Leid und Agonie führt. Es ist eine falsche Sichtweise, dass wir versuchen, unseren Durst nach Vergnügungen durch (äußeren) Genuss stillen zu wollen. Selbst auf dem Gebiet der spirituellen Praxis versuchen viele Seelen, im Äußeren nach Gott zu suchen - in den Schriften, an Pilgerorten, in einem asketischen Leben oder in guten Taten. All das bedeutet, das Selbst außen zu suchen und die Tatsache zu ignorieren, dass die Quelle der Freude und Unsterblichkeit, die als Amritsar (See des Nektars) bekannt ist, im Inneren ist. Mit der Gnade eines Meisterheiligen kann man diese Quelle regelrecht anzapfen. Das heilige Naam, das uns Glück schenkt, ist in diesem Körper, und wir verschwenden unsere Zeit und Energie, weil wir in der falschen Richtung suchen. Die Quelle göttlicher Unsterblichkeit ist in uns allen, und wer sich nach innen wendet und sich nach innen zurückzieht, nippt vom Elixier des Lebens. Trinkt man es, hört jegliches Verlangen auf. Die heilige Initiation in diese mystische Wissenschaft durch einen lebenden Meister gibt uns eine Kostprobe vom Wein, den der himmlische Mundschenk entsprechend der göttlichen Anweisung austeilt und verwaltet. Kein weltliches Vergnügen kommt dieser unbeschreiblichen Herrlichkeit gleich, die jenseits von dem liegt, was ein Mensch verstehen oder begreifen kann.
Nachdem wir verstanden haben, dass der Ursprung aller Harmonie und des ewigen Glücks in uns liegt, und wir glücklicherweise die Initiation durch den barmherzigen Meister erhalten haben, ist die nächste Frage, wie wir am besten davon profitieren können. Der folgende Vers beantwortet diese Frage.
„Gebt alle Untugenden auf, werdet zur Wohnstatt aller Tugenden. Wenn ihr dennoch wieder in die Untugenden verfallt, tut ihr gut daran, es ernsthaft zu bereuen.“
Darin liegt das Geheimnis der spirituellen Disziplin. Fehler zu machen ist das Eine, aber die Fehler der Vergangenheit immer wieder zu wiederholen ist unverzeihlich. Den meisten Menschen ist überhaupt nicht bewusst, was sie tun. Im Wirbelwind der Leidenschaften kümmern wir uns nur selten darum, in uns zu gehen und innezuhalten, um über unsere Schwächen und Fehler nachzudenken. Die meisten von uns kennen die Krankheiten nicht, an denen sie leiden. Deshalb wird die tägliche Selbstprüfung empfohlen, denn solange wir unsere Fehler nicht kennen, können wir nicht den nächsten Schritt tun und sie ausjäten. Ein ethisches Leben geht der Spiritualität voraus. Nur in den stillen Momenten tiefen Nachdenkens und der Meditation findet man die versteckten Banditen, die uns permanent gefangen halten. Jede Tat hat eine Rückwirkung, das ist ein universales Gesetz. Es wirkt überall. Der spirituelle Sucher ist deshalb notwendigerweise aufgefordert, auf seine Gedanken, Worte und Taten genau zu achten. Alle schlechten Eigenschaften haben ihre Wurzeln tief in der unergründlichen Vergangenheit und verstärken sich durch das, was wir jetzt tun. Ihr solltet euch bewusst sein, dass man die Vergangenheit nicht ändern kann, aber man kann an einem gewissen Punkt anhalten. Das gelingt nur, wenn wir etwas haben, das uns mehr fasziniert und länger bestehen bleibt, als das, was unsere Sinne verzaubert. Das Gemüt liebt es, sich zu vergnügen, und alle Freuden, die wir auf der Sinnesebene erlangen, entstehen nur durch eine Wiederspiegelung der Aufmerksamkeit, die unser inneres Selbst darauf gerichtet hat. Die groben Laster die uns momentan so faszinieren, sollten durch Selbstanalyse und Selbstprüfung ausgemerzt werden. Man sollte sie durch entsprechende gute Eigenschaften oder Tugenden ersetzen, indem man ein diszipliniertes Leben führt. Regelmäßige Meditation und eine beständige Selbstprüfung sind dabei sehr hilfreich. Der Wandel kann natürlich nicht über Nacht stattfinden, aber geduldige und ausdauernde Bemühungen sind eine große Hilfe, um die gewünschten Ergebnisse zu erzielen. Wir mögen hier und dort fallen, aber mit jedem Fehler erhalten wir mehr Stärke, um weiter zu kämpfen und das Schlechte zu besiegen. Aufrichtige Reue und ein Gebet um göttliche Hilfe und Führung machen uns auf lange Sicht gesehen unbesiegbar. So werden sich anhaltende Wachsamkeit und Kontrolle bezahlt machen. Das Gemüt ist ein Falschspieler. Mit jedem Verlust giert es nach einem größeren Gewinn. So lange wir nicht aufhören, Gift zu uns zu nehmen, werden wir das Gift wohl nicht aus unserem Blut und unseren Knochen herausbringen können.
„Der Mensch unterscheidet nicht zwischen Gut und Schlecht mit dem Ergebnis, dass er immer wieder tief im Sumpf der Täuschung versinkt.“
So ist unser wahrer Zustand. Wir können kaum abschätzen, was unsere Taten bewirken, und dummerweise hängen wir uns an die Lustgefühle und kümmern uns nur wenig darum, welche Konsequenzen das hat. Völlig versunken in den Verlockungen und Versuchungen des körperlichen Lebens, haben wir unfreiwillig immer niedrigere ethische Wertmaßstäbe. Unsere Flucht ist wie die eines unwissenden Menschen, der im Treibsand der Zeit feststeckt und mit jedem Schritt tiefer im heimtückischen Sand versinkt. Die starke Hand eines Freundes könnte uns zu Hilfe kommen und uns aus dieser hilflosen Lage befreien. Unsere machtvolle kleine Seele ist kläglich in den körperlichen Begrenzungen gefangen, und nur der gnadenvolle Meister, in Form des Heiligen Naam, kann uns zu Hilfe kommen. Ansonsten gibt es für uns keine Hoffnung auf Rettung. Wie Mistkäfer laufen wir im Schmutz herum, O Herr, hab trotzdem Mitleid mit uns und hole uns heraus!
„Der Schmutz falscher Verhaftungen ist in euch, wie kann es dann helfen, den Körper zu waschen?“
Das Wasser kann den Schmutz vom Körper abwaschen, aber nicht vom Gemüt, das mit schlechten Dingen verschmutzt ist. Es gibt viele Fehler, wie Unehrlichkeit und Gier, die im Gemüt verborgen liegen. Sie schlummern verborgen im Gemüt, und es erfordert große Anstrengungen, um sie zu beseitigen. Unehrlichkeit bedeutet nicht einfach nur, zu lügen, sondern damit ist die große Kluft gemeint zwischen dem, was man im Kopf und im Herzen hat, und dem, was man sagt und tut. All das schließt dieser Begriff mit ein. Viele beginnen mit dem spirituellen Weg, weil es gerade modern ist, aber innerlich haben sie ein anderes, weltliches Motiv. Sie werden ihr Ziel nicht erreichen. Wir sollten uns selbst nichts vormachen und unser Herz tiefgehend erforschen um herauszufinden, was unser wirkliches Motiv ist, der eigentliche Grund, weshalb wir den Heiligen Pfad aufnehmen wollen. Der Meister ist kompetent, uns alles zu gewähren, was wir von dieser oder der anderen Welt haben möchten, aber er rät uns immer, uns ein hohes Ziel zu setzen – spirituelle Vollkommenheit. Gier ist ebenfalls eine starke Fessel. Durch Verzichten sollte man sie überwinden. Habgier lässt Hass entstehen und mästet und stärkt das verborgene Ego. Dadurch wird das innere Auge geblendet und der dunkle Vorhang wird noch dichter. Ein spiritueller Sucher sollte immer dankbar sein für die vielfältigen Segnungen, die ihm durch die Gnade des Meisters geschenkt werden. Wenn uns die heilige Wahrheit bewusst wird und wir die Größe des Heiligen Naam, das der Meister uns schenkt, begreifen, werden wir diese göttliche Ekstase gar nicht fassen können.

„Möge der Gurmukh immer das einzigartige Naam haben, dadurch werden all die inneren Geheimnisse offenbart.“
Dieses Heilige Naam ist makellos rein. Wenn man es regelmäßig praktiziert, beschenkt es uns mit den allergrößten Segnungen. Man sollte aber auf jeden Fall versuchen, in seinem täglichen Leben ein Gurmukh zu sein, ein Sprachrohr des Meisters. Das bedeutet, dass wir dem, was der Meister sagt, vorbehaltlos folgen. Der Begriff Gurmukh hat eine besondere Bedeutung in der Terminologie der Heiligen. Wortwörtlich bedeutet er „Sprachrohr des Meisters“ oder ein Abbild des Meisters. Wir sollten uns immer nach spiritueller Vollkommenheit sehnen, wie sie der Meister vorgibt und vorlebt. Trotz all dem, was man erlangt haben mag, sollte man sich nie für vollkommen halten, denn es gibt unzählige spirituelle Bereiche, einen nach dem anderen, so wie die vielen Wohnungen im Palast des Vaters. Haltet immer Ausschau nach der bezaubernden strahlenden Form des Meisters im Innern und folgt Ihm liebevoll. Die heilige Meditation mit Hilfe von Naam wird viele neue Regionen eröffnen, und göttlich Gnade wird in Überfülle hereinströmen.
„Gib Eifersucht, Kritik an anderen und die Liebe zu vergänglichen Dingen auf, finde Gefallen an der Suche nach der Wahrheit durch das Wort des Meisters.“
Der Meister wiederholt seine Warnung noch eindringlicher. Sinnloses Reden über andere oder auf sie zu schimpfen sollten wir uns abgewöhnen. Andere zu beurteilen bedeutet Kritik, aber die Meister gehen noch einen Schritt weiter. Sie schließen beides, Lob und Tadel, mit ein. Alles, was wir sagen, formt unseren Charakter. Reden wir über die schlechten Eigenschaften der anderen, werden sie nach und nach beginnen, auf uns abzufärben. Wenn wir jemanden hochheben und ihm übertriebene Bedeutung beimessen, führt das genauso zu einem falschen Bild, denn wir können wahrscheinlich den inneren Wert eines Menschen nicht einschätzen. Wir sollten daher immer ruhig, ausgeglichen und innerlich gesammelt sein. Niemand ist vollkommen außer der gnadenvolle Meister, denn durch diesen ausgewählten menschlichem Pol wirkt die Gotteskraft. Wenn es jemanden gibt, der unseren Respekt und unsere Verehrung verdient, dann ist es der Meister. Und es ist unser eigenes Gemüt mit all seinen Fehlern, das Kontrolle und Kritik verdient. Werfen wir einen Ziegelstein in einen Teich mit schmutzigem Wasser, können wir sicher sein, dass dadurch unsere eigenen Kleider beschmutzt werden. Wir müssen in dieser Hinsicht also immer sehr achtsam sein und unsere Aufmerksamkeit auf uns selbst gerichtet halten, indem wir unsere Sinne mit Hilfe von Selbstprüfung und spiritueller Disziplin gut unter Kontrolle halten. Wenn man die heiligen Worte des Meisters sorgfältig kultiviert, werden sie viel Frucht tragen.
„Errette uns, o Herr, wie auch immer es Dir gefallen mag. Dein Diener Nanak verehrt das Heilige Shabd.“
Demut ist das höchste Qualitätssiegel in der Spiritualität. Guru Nanak schließt die Hymne indem er den Herrn bittet, Er möge alles so machen wie es Ihm gefällt, und ihn aus dem Wirbelsturm der Lüste und Leidenschaften zu befreien. Ich verehre und achte immer die Größe des Heiligen Shabd – der wirkenden Gotteskraft, die mich mit dieser außergewöhnlichen Einheit beschenkte. Naam oder der hörbare Lebensstrom ist also das zentrale Thema der Lehren der Meister, durch dessen Gnade man ewigen Frieden und Harmonie findet. Tatsächlich ist der lebende Meister das Gestalt gewordene Wort, denn durch ihn offenbart sich uns das Göttliche Wort und hilft uns zu gegebener Zeit, die Vollkommenheit zu erlangen.

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